2 Dragoner, 3 Kanonen und ein gefallener Adler
Tränen der Freude rollten über das Gesicht des Herrn Majors als seine Mannen in der untergehenden sonntäglichen Sonne nochmals angetreten waren, um die Fahne der KGL über dem Hof von Hougoumont einzuholen. In den von Pulverdampf schwarz gefärbten Gesichtern konnte er die Entschlossenheit der Männer und Frauen sehen, die voller Tapferkeit und Heldenmut auch dieses Jahr wieder legendäre Geschichte(n) erlebt und selber geschrieben hatten in der
Schlacht von Waterloo 2006.
Anders als im Vorjahr war der Schwerpunkt des Reenactments diesmal nicht von der Quantität sondern von der Qualität der Darstellungen gekennzeichnet. Auch die beteiligten Gemeinden hatten innerhalb eines Jahres viel Geld investiert, um Darstellern sowie Zuschauern die Veranstaltung intensiver zu gestalten. So wurde beispielsweise das Besucherzentrum ausgebaut und eine Bahn ins Leben gerufen, die den Interessierten um das gesamte Schlachtfeld fährt und versucht die damaligen Geschehnisse näherzubringen.
Am Donnerstag und Freitag waren bereits die ersten Vorauskommandos im Gehöft eingetroffen, um neben dem Lagerleben die verschiedenen Orte der Schlacht von Waterloo traditionsgemäß zu besichtigen. Neben einigen neuen Rekruten, die den ersten Pulverdampf bald schnuppern würden, war unser 2.Leichtes Bataillon wieder mit unseren Kameraden vom 1. Leichten Bataillon vereint, mit Freunden, die man auf keiner Veranstaltung mehr vermissen möchte.
Mit einem herzhaften Frühstück im Magen erfreuten sich die Schützen der KGL am Samstag beim Morgenappell an den Befehlen des Tages. Major Lange teilte der Einheit mit, dass ab den Mittagsstunden eine große französische Streitmacht in der Nähe von Hougoumont zu erwarten wäre. Die Späher der alliierten Kavallerie hatten sich bereits erste Scharmützel mit der kaiserlichen Vorhut geliefert und die Armee musste sich auf ein langes Gefecht einstellen. Der Generalsstab der alliierten Brigaden sah als Problemzone eines massiven Angriffes besonders die Wälder um Hougoumont herum an. Ein Überraschungsangriff direkt auf das Lager von Wellingtons Brigaden drohte.
Und wieder einmal war die Stunde der KGL gekommen. Mit leuchtenden Augen berichtete das Offizierscorps von unserem Auftrag: Wälder besetzen, französische Vorhut aufhalten und die rechte Flanke der Armee sichern. Schon bald begannen die Schützen der KGL den Wald auszuspähen und sie sahen, was sie erwartete. Zäune, dichtes Unterholz, kaum begehbare schmale Wege und eine sehr kurze Sicht- und Hörweite zu den Nebenleuten. Kurz: Genau die richtige Herausforderung für diesen Tag. Exakt wurde die aufgelöste Linie im Wald gebildet mit einem Abstand von 10 Metern zwischen den Rotten. Mögliche Hindernisse beseitigt, Rückzugslinien festgelegt und Vorstöße auf den Feind geprobt. Und dann begann das Warten auf die Franzosen in der Deckung der Bäume…
In den Lichtungen und in der Stille des Waldes tauchten unerwartet erste französische Kavalleristen als Vorhut auf, die sichtlich sorglos die Wege entlang trabten. Das macht man in der Gegenwart der KGL nicht ungestraft! Und als diese nah genug rangekommen waren, liefen sie in ein Volleyfeuer unserer, sich aus dem Unterholz erhebenden Schützen. Der Tanz war eröffnet! Diese kühne Tat brachte die Mannen Napoleons nicht nur in Unordnung, sondern führte auch noch zu wilden Reiterattacken auf einzelne Rotten der KGL. Immer wieder sah man erst kurz vorher in der inzwischen von Pulverdampf geschwängerten Luft die Kavallerie aus dem Nebel auftauchen und uns attackieren. Gleichzeitig zerschnitten einzelne Sonnenstrahlen die gespenstische Atmosphäre, die viele an die Waldgefechte des Kinofilms „Last Samurai“ mit Tom Cruise erinnerten. Unvergessen bleibt die Tat des Schützen Hoffmann, der sich, als ein Kürassier mit gezogenem Säbel auf Major Lange zuritt, fast vor das mit den Vorderbeinen aufsteigende Pferd warf und es mit Gebrüll und einem Schuss vertrieb.
Inzwischen rückten die ersten französischen leichten Verbände im Wald gegen unsere Linien vor. Ein wildes unerbittliches Feuergefecht entbrannte, wobei bei Beteiligten beider Seiten mangels Sicht ein eher intuitives Verhalten zu beobachten war. Gut, dass ein Schütze der KGL das Jägerblut in sich trägt und auch ohne Sicht genau weiß, was seine Kameraden machen! Im Gegensatz dazu stürmten die Schergen des Kaisers immer wieder blind durch das Dickicht und fanden ihr Ende vor den Läufen unserer Bakers. Das meinten auch abgesessene Dragoner auf der linken Flanke, die uns mit heftigem Feuer in Atem hielten. „Holt die da raus“, brüllte der Major durch den halben Wald und seine Schützen taten dies. In einer kurzen Feuerpause stürmte eine Abordnung die Stellungen der Dragoner und nahm 2 Getreue des Kaisers gefangen.Aber Napoleon war gerissen. Was wie eine Vorhut aussah, entschleierte sich im Pulverdampf des Waldes als gesamte französische Armee, die nun auf unsere Stellungen vorrückte. Auf der äußersten rechten Flanke bliesen inzwischen unterstützende preußische Einheiten zum Rückzug. Immer mehr blaue Verbände rückten mit unnachgiebiger Härte und vereinzelten Nahkämpfen vor. Ein dreimaliger Pfiff des Majors verriet allen Schützen der KGL den geordneten Rückzug anzutreten, wobei gleichzeitig alle Hindernisse wieder aufgebaut wurden. In der Deckung eines Feldes konnten wir nun ein munteres Zielschießen auf die am Waldesrand auftauchenden Franzosen veranstalten.
Zu unserer Linken lieferten sich parallel alliierte Verbände aus England, Schottland, Preußen, Russland, Belgien und Holland Gefechte mit den Kaisertreuen. Die Übermacht war jedoch so groß, dass uns nur ein taktischer Rückzug in das Gehöft Hougoumont blieb, wo die Franzosen schon bald gegen die Mauern anliefen. Welle für Welle der feindlichen Infanterie warf sich auf die Steinwälle, aber sie brachen nicht. Einen kurzen Augenblick der französischen Erschöpfung nutzten die Alliierten und wagten den Ausfall. In der Folgezeit kam es auf dem Schlachtfeld zu erbitterten Artillerieduellen, massiven Kavallerieattacken und Infanteriescharmützeln.
Ein meisterhaftes Manöver von Major Lange brachte die Linie der KGL in den Rücken einer französischen Artilleriestellung. Mit lauten „Mann tau, Mann tau!“ rückte die KGL gegen die verdutzten Kanoniere vor, die sich nach kurzem Handgemenge angesichts der Übermacht ergaben. Völlig motiviert und enthusiastisch zugleich stürmten die Schützen voran. In diesem Augenblick hatte auch eine weitere feindliche Kanone keine echte Chance, die trotz Infanterieunterstützung genommen wurde. Es folgten weitere Manöver auf dem Schlachtfeld, die besonders der Unterstützung der befreundeten Verbände galten. Als bereits die ersten Franzosen flüchteten, griff die KGL mit entschlossenen Herzen eine dritte Artilleriestellung auf einem Hügel an, die nach erbittertem Widerstand in die Hände der Hannoveraner fiel. Auf dem Gefechtsfeld war nun eine KGL-Spur der Verwüstung zu sehen von gestürmten Kanonen, gefallenen Kanonieren und fliehenden französischen Brigaden. Noch bis spät in die Nacht besangen wir am Lagerfeuer diese Heldentaten und erwarteten frohen Mutes den nächsten Tag.Am Sonntag begannen die Gefechte wie im Vorjahr in Plancenoit. Der geneigte Leser sei hier auf den Vorjahresbericht von 2005 verwiesen, da die Eindrücke dieses Szenarios dort detailliert beschrieben wurden. Aber doch war es etwas anderes. Kein Franzose konnte zum Beginn der Scharmützel ahnen, dass zwei Schützen der KGL für einen besonderen Ausklang sorgen würden.
Den ganzen Tag hatten die Gefechte getobt und unsere Einheit konnte sich mehrfach auszeichnen. So standen die Mannen des Majors im letzten Abschnitt der Schlacht auf einem kleinen Hügel und erblickten in einer Senke die Elite Napoleons, die Treusten der Treuen, der Stolz der französischen Armee: die ‘Alte Garde’. Diese deckte auf der rechten Flanke, etwas deplaziert von der Generalität, den Rückzug und beobachtete gerade wie die Highländer die französischen Kanonen (eine harte Veranstaltung für diese Gruppen…) den Berg heraufjagten. „Wollt ihr noch mal?“ fragte Major Lange seine tapferen, aber inzwischen erschöpften und hungrigen Soldaten. „Ja, Hunger auf Franzosen haben wir immer“, schallte ihm eine einzelne, aber wohl repräsentative Stimme entgegen. Die Worte waren kaum gesprochen, da stürmte die leichte Brigade nach kurzem Volleyfeuer den Hügel hinab und stürzte sich in den Nahkampf mit der französischen Elite. Zwei Schützen der KGL war aber nicht entgangen, dass viel zu weit von ihrer Einheit entfernt, ein nur dreiköpfiges Gardekommando den goldenen Adler bewachte, das Symbol jeder Einheit, das auf der Regimentsstandarte wacht und von Normalsterblichen noch nicht einmal angeschaut, geschweige denn berührt werden darf. Vom Feind ganz zu schweigen…
Die beiden Schützen umgingen blitzartig beim Frontalangriff der Brigade die Flügel und stürzten sich mit lautem Gebrüll auf das völlig überraschte Fahnenkommando, das sofort die Flucht ergriff. Und so musste sich die französische Armee mit blankem Entsetzen von ihren Stellungen aus mit ansehen, wie die Standarte der Alten Garde, der Stolz der Armee, von zwei Schützen der KGL über das Schlachtfeld gejagt wurde. Entkräftet brach der Träger zusammen, stürzte und beide Schützen warfen sich auf das gesamte Kommando mit der zu Boden fallenden Fahne. Schütze Sündermann starb dabei den (simulierten) Heldentod, da er zwar zwei Grenadiere besiegte, nicht aber die Kürassiere in seinem Rücken sah, die zur Hilfe eilten. Schütze Walther versuchte den sich verzweifelt an die Fahne klammernden zahnlosen Franzosen davon zu lösen. Panikartige Blicke mit den Worten „Non! Non!“ warf er dem Schützen entgegen. „Wenn ich die Fahne nicht schwenken kann, dann entweihe ich sie eben“, dachte sich Schütze Walther, nahm die Flügel des Adlers zwischen seine beiden Hände, beugte sich über ihn und gab dem Adler einen langen innigen Kuss…
Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, habe ich wieder den Geschmack des Adlers auf meinen Lippen, der mich immer noch an diese immer wieder einzigartige Veranstaltung erinnert. Ich höre die abendlichen Gesänge, erinnere mich an das TV-Team im Lager, das zu interessanten Diskussionen über die Jugend Europas anregte, und freue mich bereits auf das Spektakel in Jena und Auerstedt zum 200- jährigen Jubiläum. Soeben klingelt am Sonntag das Telefon und eine Redakteurin des NDR erinnert mich freundlicherweise daran, dass ein 5-minütiger Bericht über unser historisches Lager auf der Festungsinsel Wilhelmstein heute in „DAS!“ gesendet wird. Ihre Begeisterung verrät mir, die KGL hat auch dort wieder einiges in den Köpfen der Zuschauer bewegt, die sich mit unserem Hobby beschäftigen.
Es lebe der König !
Schütze Walther
2.LB KGL